Frühe Träume

Home ] Nach oben ] [ Frühe Träume ] Kalender ] Buch ] Traumkatalog ] Traumtüren ]

  
Vorwort vom 3.7.2021 für das Buch von Chris Mennel "33 Träume"

Es sind 33. Mehr können es nicht werden. Denn ich schleppe diese 33 "Träume" seit der Analogzeit mit mir herum. Als "Traumschubladen" habe ich sie gestaltet, jeder Traum in einem Kästchen. Es sind Reste. Es sind Fetzen. Darin liegt ihr Charme: Heruntergekommenes, Unperfektes.

Die 33 Kästchen, in die ich jeweils ein Foto steckte, das zum Einstieg in die Beschreibung eines Traumes taugte, waren Behälter für quadratische Polaroid-Fotos. Das ist eine andere Medien-(Kunst?)-Geschichte aus der Analogzeit: Dass ich gefühlte zwei Jahre Polaroid-Fotos von meinen Mitmenschen und von einer großen Reise knipste, nichts als schwarzweiße schäbige schnelle Polaroid-Fotos. Es war schon ein Gefühl wie heute, wenn man mit dem Smartphone knipst: Gleich ist das Foto da. Adieu Dunkelkammer.

"Dunkelkammer" - welch mystisches Wort - ist ein technischer Begriff der Analogzeit, also bevor die Computer kamen. Fotos, die man nicht zum Entwickeln zum Fotografen bringen wollte, z.B. Aktfotos, entwickelte man selber: Eben in der Dunkelkammer. Fast ohne Licht, damit der Film sein Foto festhalten konnte. Mit einem schwachen Gelblicht, und manches ganz im Dunkeln.

Da stand ich drin und entwickelte. Und manchmal gab es "Testfotos": Anhand eines kleinen Stückes Fotopapier schaute ich, ob eine bestimmte Belichtungszeit, ein bestimmtes Verbleiben in der Entwicklerlösung das gewünschte Ergebnis brachte. Das ging mal schief, mal lief es zu meiner Zufriedenheit. 33 ausgewählte kleine Dunkelkammer-Testpapiere schnitt ich quadratisch zurecht und stopfte sie in die 33 Polaroid-Kästen, deren je etwa 10 Polaroid-Fotos ich in der Zeit verbraucht hatte, als ich die Welt schnell knipste.

Das sind nun meine "Traumschubladen": 33 schäbige, lang durch die Zeit gerettete Signale aus der Zeit, als ich eigene Schwarzweißfotos in der Dunkelkammer entwickelte.

Und dann kam die Digitalzeit. Sie dämmerte in Deutschland ab 1990. Ihr Morgenleuchten war das frühe Internet 1995. Ab etwa 2000 ging für Leute, die sich ins Digitale hineinwühlten, die Sonne auf. Für Menschen wie mich, die sich schon in der Analogzeit um Fotos, um Medien, um Medienkunst bemüht hatten, war die Digitalzeit ein Rennauto mit der Wirkung einer Dampfwalze: Gigantisches ließ sich mit vergleichsweise leichter Hand verwirklichen. Man brauchte "nur" noch die Ideen, den ästhetischen Geschmack, und "nur" ein neues handwerkliches Talent: Kitzele die Software.

Meine groben 33 Schwarzweißfoto-Testschnipsel, gekreuzt mit fantasievoller Handhabung von Foto-Software, führen nun zu 35 Endergebnissen - zweimal habe ich zwei Ergebnisse aus einer Vorlage herausgekitzelt. Und der Weg zum Endergebnis war manchmal so charmant, und auch die Ausgangsbilder hatten ein paarmal bereits ihren Reiz, dass wir hier ein Buch vorliegen haben mit insgesamt 83 Kunstfotos.

Am 28.6.2021, als ich den Kasten mit meinen 33 Traumschubladen mal wieder hervorholte, überfielen mich Worte. Ich blieb dran am sprechenden Ball und schaffte es - das ging bis zur Erschöpfung, auch ein Zwischenschlaf war dabei - zu allen 33 Bildern aus meiner analogen Vergangenheit jeweils einen aktuellen Text zu sprechen. Damit wird ein Genuss möglich beim Ausstellen der Bilder in einer Galerie: Sie sprechen auf Knopfdruck. Hier im Buch begleiten aufgearbeitete Versionen der spontan gesprochenen Texte die Fotokunst.

Das von mir zu meinen Fotofetzen Gesprochene ist seelenvoll, aber kein Traum. Ich bin mit meinen Träumen nicht mystisch deutend umgegangen. Ich habe sie zu nutzen versucht: Wenn du dich an einen Traum erinnerst, dann lausche auf das, was dir vom vergangenen Tag zu einer Traumszene einfällt. Das können sehr andere Ereignisse sein. Da kann dich die erlebte Traumszene in die Irre führen. Bleibe unbeirrt, schnappe dir die erstbeste Assoziation, die dir zu einer Traumszene einfällt, und du hast ein Stück Wirklichkeit, zumeist vom Vortag, eingefangen, das deinem Gehirn - nicht "dir" - auffiel, das es sich zu merken versucht. Solches "Merken", solcher Pfad hinein ins Erinnernkönnen läuft ab während unserer Traumphasen.

Die Wirklichkeit wird von unserem Gehirn traumartig aufgegriffen: Wir vergleichen Eintreffendes in rasendem Tempo mit Gespeichertem. Wenn ich meine Traumschubladen sehe und zu ihnen etwas sage, eile ich sprechend am launischen Ball dessen entlang, was mir in Echtzeit dazu einfällt. In "33 Träume" begegnen euch surreale Schwarzweißfotos und assoziative Texte.